Der Steckeles-Kayser

Der Steckeles-Kayser nach einer zeitgenössischen Zeichung von Fritz Moser. Wir sehen hier den Stadtdiktator von einst mit dem Voranschlag in der Hand zum Rathaus schreiten. Der Rabe links schreit "Spar! Spar!"

Ein „Pforzemer Original“ und Wohltäter der Stadt

 

An der Hauptallee, unweit des Kolumbariums, befindet sich in Feld 5 eine schlichter pfeilerartiger Block aus Kalkstein. Die aufgesetzten Bronzebuchstaben heben sich wenig ab. Es ist das Grabmal August Kaysers, vielen Pforzheimern als der „Steckeles-Kayser“ bekannt. Er sei vor allem sich selbst gegenüber so geizig gewesen, dass er sich sprichwörtlich nach jedem „Steckele“ (Stöckchen), das auf der Straße lag, bückte, um es im heimischen Ofen zu verbrennen. Dass schon sein Vater, der stadtbekannte Wirt des „Rappen“ am Marktplatz, der auf sein Äußeres im Gegensatz zu seinem Sohn stets größten Wert legte und seinen Reichtum durch einen Spazierstock mit silbernem Knauf optisch demonstrierte, gerade aus diesem Grund den gleichen Spitznamen trug, ist aus dem kollektiven Bewusstsein längst verschwunden.

 

Über den am 14. Februar 1834 geborenen August Kayser, den sein Vater auf Schulen nach Genf und Paris geschickt hatte, um anschließend in Leipzig und England den Beruf des Bankkaufmanns zu erlernen, gibt es die unterschiedlichsten Einschätzungen. Er war, je älter er wurde desto mehr, unzweifelhaft ein „Pforzemer Original“, der anderen nichts schenkte und dem die anderen auch nichts schenkten, im wahrsten wie übertragenen Sinne des Wortes. 1872 hatte er mit einem Vetter und der Unterstützung einiger Fabrikanten ein privates Bankgeschäft gegründet, die spätere „Pforzheimer Bankverein A.-G.“. Viele Fabrikanten verdankten ihr wirtschaftliches Emporkommen (aber auch ihr manchmal abruptes Ende) dem Wohl (und Wehe) August Kaysers, der Freitag für Freitag über die Gewährung von Krediten entschied oder den Zins bar einforderte. Der „Bankverein“ war bei der meist prosperierenden Pforzheimer Schmuckindustrie lange ein gutes Geschäft, in den ersten Jahren konnten Dividenden von 5 bis 12 Prozent ausbezahlt werden.

Grabstein von August Kayser
Grabstein von August Kayser

August Kayser, der zeit seines Lebens unverheiratet blieb, engagierte sich auch politisch. Er war der Führer der Pforzheimer Linksliberalen. Er war viele Jahrzehnte Stadtrat und Vorsitzender der Stadtverordneten. Anfang der 1880er Jahre ging in Pforzheim nichts ohne sein Einverständnis. Doch mit der Zeit wurde seine sparsame Haltung zum Zwang und er verhinderte so die Einsetzung eines zweiten Bürgermeisters, verzögerte den Bau der notwendigen Kanalisation oder öffentlicher Gebäude. Der Pforzheimer Oberbürgermeister Ferdinand Habermehl hatte oft seine liebe Not mit ihm. Sein Einfluss sank, der Spott über ihn wurde größer. Er gab aber auch ausreichend Anlass. Jedes Jahr ließ er seinen alten abgetragenen Gehrock bei seiner Verwandtschaft in Ispringen neu mit Litzen einfassen. Einmal fand seine Haushälterin auf dem Dachboden vierzig Jahre alte Äpfel- und Birnenschnitz, die noch August Kaysers Mutter getrocknet hatte, und nun musste ein genießbares Mahl daraus werden, und so fort.

 

Lange stritt die Stadt um die Ablösung der Wasserkraftrechte des Unteren Hammers (Oststadt), ein Enteignungsverfahren gegen August Kayser wurde eröffnet. Schließlich erhielt er 380 000 Mark Ablöse, die er zur Freude des Bürgerausschusses komplett in das Projekt eines „Altersheims für Invaliden der Arbeit“ steckte, das 1911 am Buckenberg eröffnet werden konnte. Ein sichtlich gerührter August Kayser widmete die „August-Kayser-Stiftung“ dem Andenken seines Vaters. Er starb am 18. Juni 1914, im Alter von 80 Jahren, mitten im Wahlkampf zu den Bürgerausschuss-Neuwahlen an einer Lungenentzündung. Seinen Grundbesitz, seine Immobilien, allein 17 Häuser im Wert von 4 Millionen Mark, vermachte er der Stadt. Diese trat das Erbe jedoch nicht an, weil der Bankverein unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges bankrott gegangen war und so die Gläubiger wenigstens einen Teil ihrer Forderungen zurückbekamen. Auf dem Grabstein, den die Stadt Pforzheim setzen ließ, findet sich die Inschrift: „DAS LEBEN IST / NICHT EIN MITTEL / ZUM EIGNEN GLÜCK / SONDERN EINE / AUFGABE ZUM / WOHLE ANDERER“.

Olaf Schulze in der Rolle des Steckeles-Kaysers (Foto: Linda Luickhardt/WSP)
Olaf Schulze in der Rolle des Steckeles-Kaysers (Foto: Linda Luickhardt/WSP)

Im Rahmen seiner Stadtführungen schlüpft der Pforzheimer Historiker Olaf Schulze in die Rolle des „Steckeles-Kayser“, und führt im Gehrock nebst Melone durch das „Pforzheim der Jahrhundertwende“. Dabei lässt er August Kayser zu Worte kommen, der nicht nur als Abziehbild gezeigt wird, sondern als ein Mann mit Idealen, mit Ecken und Kanten. Als junger Landtagsabgeordneter in Karlsruhe hatte er durchaus seinen eigenen Kopf bewiesen und 1870 als einziger gegen die Militärkonvention mit Preußen gestimmt. Als Greis lächelten viele über ihn und waren doch beeindruckt von seiner Stiftung, dem ersten modernen Altersheim in Pforzheim, das seinen Namen bis heute führt. Der Stadtspaziergang mit dem Steckeles-Kayser kann für Gruppen über die WSP (Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim, Tourist-Information Pforzheim, Schloßberg 15-17, Tel. 07231/393700) gebucht werden (www.ws-pforzheim.de). Die 90minütige Führung ist auch für Familien mit Kindern ab 8 Jahren geeignet.

 

Eine Anekdote

Der alte Pforzheimer Bankier Kayser, der sogenannte Steckeleskayser, bediente früher immer den Schalter selber. Dabei hatte er die sinnige Gewohnheit, immer die Kunden zuerst vorzunehmen, die Geld brachten, auch wenn sie zuletzt kamen. Dies wurmte den Fabrikanten Karl Winter, den „Winterkarle“, sehr. Als er wieder einmal lange warten musste, ging er hinüber in das Gasthaus „Krone“, gleich beim Markt, und holte dort zwei Porzellan-Untersätze und steckte sie in sein Säckchen. Damit schüttelte er am Schalter. Als der Steckeleskayser das hörte, nahm er den Winter sofort dran und nahm ihm das Säckchen ab. Da freute sich der Winterkarle, dass der den alten Steckele doch drangekriegt hatte. Der aber konnte bloß rufen: „Herr Winter, Herr Winter, net emmer hole, a hie on da amol widder brenge!“

 

Ich werde Sie an dieser Stelle informieren, sobald ich wieder Führungen anbiete.

 

Weitere Termine auf Anfrage.

 

Informationen:
E-Mail: olafwschulze@gmx.de
Tel.: 0711 267039

 

Aufgrund der Corona-Pandemie können Führungen ausfallen und die Begrenzung der Teilnehmerzahl variieren sowie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen notwendig sein. Eine Anmeldung ist während der Pandemie grundsätzlich erforderlich (Telefon 0711/267039) oder E-Mail: olafwschulze@gmx.de). Die Führungen finden auch bei leichtem Regen statt. Die Teilnahme erfolgt auf eigene Gefahr, eine Haftung für Personen- und Sachschäden wird nicht übernommen. Alle Führungen (sowie weitere Themen nach Vereinbarung, auch allgemeine Führungen durch Pforzheim, sowie Vorträge) können individuell gebucht werden.